BUNDjugend Baden-Württemberg  

Der Einfluss vegetarischer Ernährung auf die Lernfähigkeit von Albinoratten

Oder: Warum ist es so schwer, andere von einer fleischlosen Lebensweise zu überzeugen? Eine Frage an die Psychologie.

Was alles erforscht wird… gibt man in psychologische Literaturdatenbanken (digitale Bibliotheken für wissenschaftliche psychologische Artikel und Untersuchungen) „vegetarian“ oder „vegetarianism“ ein, bekommt man Ergebnisse hunderter Studien, von Einstellungen zu Haustieren über Zusammenhänge mit Magersucht bis zur Lernfähigkeit von Albinoratten. Einer Antwort auf meine Frage komme ich damit erst mal nicht wirklich näher. Aber von vorne:Lass mich dich etwas fragen, auch wenn es zunächst etwas lächerlich klingt“, beginne ich ein Gespräch mit einem guten Freund. „Stell dir vor, es gäbe ein Tier, das unglaublich schöne Töne von sich gibt, wenn es stirbt. Und stell dir vor, es gäbe ein Tier, dessen Tod ein wunderschöner Anblick ist. Wäre es deiner Meinung nach in Ordnung, dieses Tier umzubringen, um sich an dem schönen Klang oder an dem herrlichen Anblick zu erfreuen?“ Mein Gegenüber zögert mit der Antwort, vermutet vielleicht, worauf ich hinaus möchte. Ich fahre fort: „Stell dir vor, es gäbe ein Tier, das tot sehr gut schmeckt!“ Wohl die meisten vernünftigen und etwas einfühlsamen Menschen würden die erste Frage klar verneinen. Doch wenn es um die Gaumenfreuden eines leckeren Stück Fleisches geht, ist die Antwort weniger eindeutig. Warum, wo doch eigentlich (zumindest heutzutage) kein Unterschied zwischen den drei oben genannten Gründen ein Tier zu töten besteht, und konsequenterweise auch der letzte abgelehnt werden müsste? Vermutlich, weil die meisten Menschen damit ihr eigenes Verhalten verurteilen müssten. Und das unangenehme Gefühl, wenn persönliche (Moral-)Vorstellungen vom eigenen Handeln abweichen (Psychologen sprechen von „Kognitiver Dissonanz“), vermeidet man lieber – und sucht nach Argumenten für den Fleischkonsum. Aber warum ändern so wenige Leute ihr Verhalten? Das wäre eine andere Möglichkeit, dieses unangenehme Gefühl loszuwerden. Auch auf einer weniger abstrakten Ebene gibt es zahlreiche Gründe für eine vegetarische Ernährung: Tierische Landwirtschaft trägt 40% mehr zur globalen Erwärmung bei als der weltweite Verkehr (und ist damit größter Verursacher der Klimaerwärmung). In vielen Entwicklungsländer hungert die Bevölkerung, weil Agrarflächen für Futtermittelanbau und als Weidefläche genutzt werden. Der Verzehr von Mais, Soja und Getreide ernährt ein Vielfaches (6- bis über 12-mal mehr, je nach Tierart) an Menschen, als wenn diese Rohstoffe erst an Tiere verfüttert und diese dann gegessen werden. Aquakulturen verseuchen ganze Landstriche und Küstenregionen. Massentierhaltung trägt enorm zur Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen bei. Auch die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung gehen mittlerweile klar in Richtung vegetarischer Lebensweise. Diese Aufzählung ließe sich noch um einige weitere Argumente gegen den Fleischkonsum erweitern (Interessierten sei das sehr lesenswerte Buch „Eating Animals“ von J. S. Foer empfohlen). Und ich wundere mich, warum so viele Leute, die ich treffe und die um all diese Argumente wissen, nicht danach handeln. Selbst reflektierte und sehr vernünftige Menschen verhalten sich in dieser Hinsicht so unvernünftig. Warum nur? Wirklich untersucht wurde dies scheinbar noch nicht, zumindest werde ich bei meiner Recherche nicht fündig. Also mache ich mich selbst auf die Suche, frage überzeugte Fleischesser und Vegetarier nach deren Ansichten und Erfahrungen. Und so vielseitig wie die Menschen sind, so vielseitig sind ihr Antworten. Aber einige Gemeinsamkeiten gibt es doch: Für viele ist nicht das Fleisch an sich, sondern das was sie damit verbinden – den Sonntagsbraten der Oma und seinen Geruch, das Sommergefühl beim Grillen am See – von entscheidender Bedeutung. Hier besteht eine Verknüpfung mit sehr positiven Emotionen und ganz auf Fleisch zu verzichten, würde einen starken Eingriff in die Lebensqualität bedeuten. Zudem ist das Essverhalten ein extremes Gewohnheitsverhalten, das über viele Jahre, und mehrmals täglich, verstärkt wird. Dies führt vermutlich auch zu einer Verstärkung der eigenen (positiven) Haltung gegenüber Fleischkonsum: Um die Frage nach der eigenen Einstellung zu beantworten, beobachtet man häufig einfach sein (vergangenes) Verhalten – und wenn man oft Fleisch isst, leitet man daraus eine positive Einstellung demgegenüber ab (eine Implikation der in der Sozialpsychologie bekannten „Selbstwahrnehmungstheorie“). Was bedeutet das nun, wenn es darum geht, andere von einer fleischlosen Ernährung zu überzeugen? Erst einmal, dass es nicht leicht wird, weil es sich um eine so enorm durch Gewohnheiten geprägte Verhaltensweise handelt. Verschiedenen Theorien und Beobachtungen zur „Persuasiven Kommunikation“ (Kommunikation zur Einstellungsänderung anderer) legen noch einen weiteren Schluss nahe: So triftig die rationalen Argumente gegen Fleischkonsum auch sind, wird diese Art der Argumentation nicht besonders erfolgreich sein. Zum einen, weil es sich nicht um rationale, sondern meist um emotionale Einstellungen handelt, die als solche nur schlecht durch rationale Botschaften beeinflussbar sind. Zum anderen fehlt wohl sehr häufig die Motivation, sich systematisch mit den Argumenten auseinander zusetzen, das heißt sie tiefgehend zu prüfen und abzuwägen. Dazu ist man meist erst dann motiviert, wenn man ein Thema für persönlich relevant hält. Davor bleiben selbst die stichhaltigsten Argumente relativ wirkungslos. Letztendlich muss man auch noch bedenken, wie veränderte Einstellungen das Verhalten beeinflussen (ganz einfach und direkt ist der Zusammenhang hier leider nicht), was an dieser Stelle zu weit führt. Vieles von dem Geschriebenen klingt nicht sehr hoffnungserweckend. Der eingangs erwähnte Freund meinte am Ende unserer Diskussion: „Wenn du schon soviel darüber nachdenkst und etwas schreibst, dann solltest du auch eine Lösung für das Problem anbieten“. Bisher ist mir noch kein genialer Gedanke gekommen, aber ich überlege noch. Und es gibt meiner Meinung nach durchaus Gründe, optimistisch in die Zukunft zu blicken: Viele Kinder wachsen heutzutage vegetarisch auf, sie verbinden weder Emotionen noch Gewohnheiten mit Fleisch. Dies ist wohl die beste Art, die oben genannten Probleme zu überwinden und führt zudem auch in der Gesellschaft zu einer veränderten (und zumindest schon toleranten) Haltung – vegetarische Alternativen bekommt man mittlerweile in jedem halbwegs zeitgemäßen Restaurant. Der Trend ist langsam, geht aber in die richtige Richtung. Und Ziel ist selbstverständlich nicht, jeden zum Vegetarier zu bekehren, sondern ein bewusster Umgang mit unseren Ressourcen (und damit eine deutliche Abnahme der Fleischquantität und eine Zunahme der Qualität, von Fleisch und dem Leben der Tiere und letztendlich auch dem der Menschen). Und übrigens, um zumindest ein paar harte Fakten, also Ergebnisse empirischer Untersuchungen, zu nennen: Männliche Albinoratten-Vegetarier zeigen geringfügig schlechtere Ergebnisse beim Erlernen eines Wasserlabyrinths als Albinoratten-Fleischesser. Auf Weibchen trifft dies nicht zu. Auf Menschen vermutlich auch nicht: In einer großen britischen Längsschnittstudie (2007) war die Wahrscheinlichkeit, mit 30 Jahren vegetarisch zu leben, bedeutend größer für Personen mit höheren in der Kindheit gemessenen IQ-Werten. Wie genau dieser Zusammenhang zustande kommt – ob sich intelligentere Menschen mehr Gedanken über Ernährung oder über die Auswirkungen ihrer Handlungen machen oder ob Eltern, die mehr Wert auf Bildung legen auch mehr Wert auf Ernährungsaspekte legen – ist noch nicht geklärt.

Anton Gietl

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