BUNDjugend Baden-Württemberg  

Der vielleicht letzte Besuch im allerletzten Urwald von Białowieża

Pogorzelce, Polen 28.9.2017

Wer das Białowieża-Nationalparkmuseum im Osten Polens besucht, kann einiges erfahren. Hier wird auf zwei Stockwerken anschaulich erklärt, was den Białowieża-Wald so besonders macht. Der Audio-Guide verweist darauf, dass hier im Wald die größte Wisentherde Europas beheimatet ist. Das sind ein Viertel aller Tiere weltweit, die übrigens vom Aussterben bedroht sind. Schmunzeln muss mensch aber schon wegen der kleinen Übersetzungsfehler des Guides.

Białowieża ist der letzte noch ursprüngliche Urwald Europas. Der allerletzte. Neben Wisenten, Wölfen und Elchen findet mensch hier unglaublich viele, unglaublich alte Bäume. Die machen den Wald so besonders: Der Kernnationalpark wurde nie forstlich genutzt, Bäume wachsen und sterben wild. Die unzähligen über 100jährigen Methusalems sind Heimat für Insekten und Pilze aber auch viele Vögel finden Unterschlupf in den Asthöhlen.

Kein Wunder also, dass Białowieża UNESCO-Welterbe ist! Doch es tut sich etwas in der Idylle. In diesem Herbst hört mensch nicht nur die Brunftrufe der Hirsche, sondern auch die Kettensäge im Wald. Polens Regierung hat beschlossen mit den alten Bäumen Reibach zu machen. Unter dem Vorwand, einen Borkenkäferausbruch zu bekämpfen wurde begonnen Holz zu schlagen. Nicht im Nationalpark selbst, aber in den umliegenden Schonzonen. Doch auch das gefährdet das ganze sensible System.

Damit kann keine*r einverstanden sein und damit ist keine*r einverstanden. Menschen in ganz Polen waren diesen Sommer auf großen Demos gegen den Kurs der Regierung. Auch Wissenschaftler*innen aus ganz Europa schreiben Petitionen und kritisieren Polens Raubbau am letzten Urwald. Der Europäische Gerichtshof hat eine sofortige Unterlassung verfügt, denn der Wald steht auch unter europäischem Naturschutz. Es drohen saftige Geldstrafen, doch die polnische Regierung will nicht einlenken.

Daher übernehmen Aktivist*innen vor Ort beherzt den Naturschutz. Im Mai dieses Jahres wurde ein Protestcamp aufgebaut und da passiert einiges! Da kein Reden mit der polnischen Regierung hilft wird das „Ernten“ kurzerhand selbst gestoppt. Es gilt, die riesigen Harvester, das sind automatische Holzerntemaschinen aufzuhalten. Die Kolosse fällen, entasten und schneiden einen Baum im selben Arbeitschritt, von schonendem Waldschutz kann nicht die Rede sein. Daher ketten sich die Umweltschützer*innen an die Maschinen oder klettern darauf um die Verwüstungen im Wald zu stoppen. Außerdem ziehen Patrouillen aus, um die Jahresringe der Baumstümpfe zu zählen und die Schäden im Wald zu dokumentieren, nur so können die Ausmaße der Abholzung sichtbar gemacht werden.

Wie viel Holzeinschlag der Wald vertragen kann ist ungewiss. Die Kernzone des Waldes wurde seit 100 Jahren von niemanden betreten, nur am Rand auf 1–2 Routen sind Führungen möglich. Fest steht jedoch, dass alles was in der Umgebung passiert auch die Kernzone betrifft. Der Bestand des letzten Urwaldes ist unsicher, aber es gibt auch gute Nachrichten. Jede*r kann das Protestcamp unterstützen und besuchen. Wer Lust hat, abends die Wölfe heulen zu hören und mitzuhelfen ist gern gesehen. Verfolgt das Geschehen rund um das Protestcamp auf der Seite des Camps unter save-bialowieza.net (englisch) oder folgt dem Protestcamp auf facebook.com/dlapuszczy/ (polnisch). Macht mit, dass das Camp nicht der letzte Besuch im letzten Urwald bleibt.

Den Artikel schrieb Jan Carl Matysiak.